Die Sauhatz-Probe

Jagd-Humoreske von Teo von Torn.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 28.10.1901,
in: „Rostocker-Anzeiger” vom 03.11.1901


Rittmeister von Sandow warf den Rest seiner Cigarette in den silbernen Elefantenkopf, der ihm als Aschenbecher diente, klapste mit dem Reitstock gegen seine Langschäftigen und erhob sich.

„So, Dicker, — jetzt schau, daß Du nach Hause kommst,” sagte er zu seinem Freunde und Gutsnachbarn, dem Baron von Rellsing. „Es sieht mir gerade so aus, als wenn Du Dich heute hier wieder seßhaft machen wolltest!”

„Und wenn?”

„Aber das geht doch nicht! Deine zweihundertundfünfzig Pfund sind heute im Wege auf Baltenhagen! Ich habe zu der morgigen Parforcejagd noch tausend Dinge vorzubereiten, und meine Schwester hat auch alle Hände voll zu thun. Uebrigens — wnn Du nicht mitreitest, so kommst Du doch zum Essen rüber, nicht wahr?”

„Hm, was giebt's denn zu essen, Alfred?”

„Das kann der Mensch schon wieder nicht abwarten!” rief Herr von Sandow lachend. Dann ergriff er die Spessartmütze des Barons, stülpte sie diesem auf das runde, kurzgeschorene Haupt und winkte nach der Thür. Jakob von Rellsing aber rührte sich nicht. Er nahm sich nicht einmal die Mühe, die windschief sitzende Mütze aus den Augen zu rücken. Bedächtig strich er mit dem von einem mächtigen Wappenring behafteten kleinen Finger die Asche von seiner Cigarre und sagte:

„Was ich noch sagen wollte, Alfred — — mit den zwi einjährigen Füchsen hast Du mich behumbst — ja.”

„Waaa—s? Na nu wird's Tag! Meine beste Nachzucht — für so ein Lumpengeld, das Du mir auch noch schuldig geblieben bist! Und jetzt behauptet der Mensch — —”

„Du hast mich behumbst, Alfred,” erwiderte der dicke Baron seelenruhig. „Als Künstler verstehe ich ja eigentlich nicht viel von Pferden. Aber ich weiß doch, ob mich ein Gaul trägt oder ob er die Puste verliert und einen Tatterich in die Kniekehlen bekommt — ja.”

„Rellsing! Mastodon verrücktes! Du hast die jungen Thiere geritten?!” schrie der Rittmeister.

„Natürlich, Alfred. Was denn sonst. Ich kann doch nicht alleweil auf dem dicken Fliegenschimmel von „Prinz” herumschuckeln. Da lachen ja schon die Hühner. Ich möcht' gern mal was Nettes haben — so ein Pferd, was ein bischen gute Figur macht — ja!”

„Gute Figur! Bei einer Belastung mit drittehalb Centnern Lebendgewicht! Du gehst mir jetzt aus den Augen, Rellsing, sonst morde ich Dich!”

„Hm — ich gehe schon, Alfred,” erwiderte der Baron wie aus tiefem Nachdenken heraus und legte sich noch etwas bequemer in den Sessel zurück. „Was ich noch sagen wollte, Alfred — — ich werde morgen mitreiten.”

„Du? Zur Sauhatz!?”

„Natürlich. Den rothen Frack habe ich mir schon angeschafft; die weißen Hirschledernen auch — sie sind mir ein bischen knapp, weißt Du, aber das macht nichts. Und weil Du mich mit den Füchsen behumbst hast, werde ich den „Prinz” reiten. Ich meine, was er an Fixigkeit nicht hat, das ersetzt er an Ausdauer — ja.”

Der Rittmeister sah sich rathlos um und hob die Schultern, wie einer, der vorläufig keine Worte findet. Dann zog er einen Stuhl dicht vor den Sitz seines Freundes und setzte sich mit einem heftigen Ruck. Er schob dem Baron die Mütze aus dem Gesicht, tipte ihm aufs Knie und fragte mit erzwungener Ruhe:

„Hast Du schon einmal eine Parforcejagd mitgemacht?”

„Das nicht, Alfred — aber ich trainire zu Hause schon seit acht Tagen. Morgen früh vor dem Ausreiten ist Generalprobe bei mir auf dem Hofe.”

„So — und nun wirst Du mir sagen, mein Junge, was alle dise Verrücktheiten sollen! Seit einiger Zeit bist Du wie ausgewechselt. Ein verdrehtes Huhn warst Du schon immer, das ist richtig — aber doch nicht derart, daß man sich zu ängstigen brauchte. Du trägst Lackstiefel und Bügelfalten in den Hosen. Sonst warst Du zu faul, um alle Woche mal zum Skat zu kommen, jetzt sitzest Du mir den ganzen geschlagenen Tag hier auf dem Halse und machst Augen wie ein kranker Plötz. Früher griffst Du verzweifelt nach dem Stabsofficierzügel, wenn der „Prinz” in Erinnerung an bessere Zeiten mal aus freien Stücken einen Handgalopp riskirte, jetzt willst Du ihn gar zur Sauhatz reiten! Also was ist los?”

„Ach, Alfred — —”

„Was los ist, will ich wissen!”

„Ich bin verliebt, Alfred — ja.”

„Verliebt, schön; das konnte ich mir denken. Aber das geht vorüber. Was noch?”

„Ich möchte auch heirathen, Alfred — ja.”

„Heirathen. Das ist schon bedenklicher. Und wen, wenn ich fragen darf?”

„Deine Schwester.”

„Au verflucht!” Mit diesem unwillkürlichen Ausruf fuhr der Rittmeister zurück und starrte den Baron, der krampfhaft an seiner Cigarre zog, verblüfft an. Dann erhob sich Herr von Sandow, steckte die Hände in die Hosentaschen und ging nachdenklich auf und ab. Und das Resultat dieses Nachdenkens schien kein sonderlich günstiges für den Dicken, denn der Rittmeister murmelte immer wieder vor sich hin, „au verflucht”.

„Ja, lieber Rellsing,” sagte er schließlich, „da kann ich Dir nicht helfen. Meine Schwester ist nicht nur majorenn, sondern auch eigensinnig — und namentlich in der Hinsicht hat sie wohl ihre eigenen Sinn. Bei ihrer starken Vorliebe für Jagd und Sport scheinen mir die Aussichten Deiner etwas commoden Persönlichkeit nicht gerade glänzend — — aber Du kannst es ja versuchen. Vor allen Dingen beleidige nicht Sankt Hubert, dessen Tag wir morgen begehen, durch die Betheiligung an einer Jagd, für die Du nicht geschaffen bist. Du könntest das Gegentheil von dem erzielen, was Du bezweckst.”

„Ich werde reiten, Alfred,” erwiderte Baron von Rellsing einfach, indem er sich erhob und dem Freunde die Hand drückte. „Ent oder weder. Geht die Geschichte gut, dann habe ich doch wenigstens eine Chance; verunglücke ich mit dem alten Schinder von „Prinz”, dann ist dieses einsame, kurzlustige Dasein zu Ende, und Du kannst dann sehen, wie Du die beiden Füchse bezahlt bekommst, mit denen Du mich behumbst hast —”

— — — — —

Der St. Hubertustag war angebrochen. Auf dem Gutshofe von Groß-Morin herrschte reges Leben. Seit Jacob Freiherr v. Rellsing von der Münchener Kunstschule weg das väterliche Gut übernommen, war es ja schon immer mobil hergegangen in Haus und Hof. Zehn Meilen im Umkreis sprach man von der „künstlerischen Wirtschaftsmethode” des dicken Barons, und die bewährten Beamten des Gutes hatten die oft recht schwierige Aufgabe, die Anweisungen des neuen Herrn mit gutem Humor zu — ignoriren. In seine rein persönlichen Angelegenheiten aber durften sie ihm natürlich nicht hineinreden. So waren sie denn kopfschüttelnde Zuschauer der sonderbaren Vorstellung, die Jakob von Rellsing eben auf der Chaussee vor dem Gutshofe gab.

Wie ein mächtiger Klacks Siegellack klebte der junge Gebieter von Groß-Morin in dem rothen Frack auf seinem Fliegenschimmel und commandirte die Generalprobe zu der Sauhatz, zu der er in einer halben Stunde spätestens abreiten mußte.

Gruigruigruigrui — grunzte ein mächtiger Yorkshire-Eber, der mit zwei Stallknechten einen wilden Ringkampf aufführte, weil er lieber in dem Chausseegraben schnüffeln wollte, als in der wilden Pace, die der Baron wünschte, vor dem dicken „Prinz” einherzujagen.

„Das Biest hat ja aber auch nicht 'ne Spur von Temperament!” schrie Herr von Rellsing wüthend. „Brenn ihm mal eins über, Jochen! Aber feste!”

Der Knecht war eben wieder zu Fall gekommen über dem Bemühen, das Schwein in Fahrt zu bringen. Es kam ihm daher von Herzen, als er die Peitsche umkehrte und die dicke Schwarte des eigensinnigen Thieres bearbeitete. Im ersten Augenblick schien das auch von Erfolg zu sein.

Q—uiiiiiiik — —

Der tiefe Baß des englischen Borstenträgers schlug in eine helle Kopfstimme um. Er klappte wild mit den Ohren und machte eine so plötzlichen Seitensprung, daß beide Stallknechte übereinanderkugelten. Diese parterregymnastische Leistung des Ebers und seiner Bändiger hatte die Bewunderung und den Neid des dicken „Prinz” erregt. Auch er machte einen flotten Satz — gab sich aber sofort zufrieden, als sein Reiter ihm um den Hals fiel und ihn mit einem Fluche beschwor, sich nicht zu strapaziren.

Nachdem Herr von Rellsing sich von dieser kleinen Escapade erholt und wieder zurechtgesetzt, fühlte er, daß seine weißen Hirschledernen nicht mehr ganz so fest schlossen wie vorher. Das erfüllte ihn einen Augenblick mit Schrecken, aber der Jagdeifer, von dem er ergriffen war, ließ in bald über dieses Malheur hinwegkommen. Die Indolenz des Probe-Ebers reizte ihn auf das Aeußerste.

Gruigruigruigrui — — grunzte das Schwein und wühlte schnaufend unter den Chausseebäumen nach etwas Freßbarem. Es hatte augenscheinlich nicht das geringste Interesse an der ihm zugewiesenen befremdlichen Aufgabe. Auch die beiden Stallbediensteten schienen ermüdet — und das war ihnen im Grunde nicht zu verdenken; denn zu den schönsten Reizen des Daseins gehört es nicht, von so einem Dickhäuter alle Augenblick in den Schmutz getrudelt zu werden. Aber es half nichts — sie mußten noch einmal ran.

Jakob von Rellsing richtete sich in den Bügeln auf und während er wild mit der Hetzpeitsche gesticulirte, schrie er:

„Jetzt versucht es noch einmal, Kinder! Aber ordentlich! Du, Hinnerk, schlägst ihm vorn auf die Schnauze! Und Jochen dreht der Kanaille am Schwanz! Es müßte doch mit dem Deuwel zugehen, wenn wir ihn nicht munter kriegten! Los also — und möglichst in der Richtung auf Baltenhagen.”

Q—uiiiiiiiiiik — —

Der Doppelangriff war mit glänzendem Elan ausgeführt worden. Während der eine den Rüssel und die Schlappohren bearbeitete, orgelte der andere an dem Ringelschwänzchen, als wäre er ein wahnsinnig gewordener Kriegsinvalide, der einen ganz neuen Leierkastenrecord für falsche Tempi zu schaffen wünschte.

Das war selbst zu viel für eine Schweineseele. Abermals warfen seine Peiniger die Beine in die Luft und im nächsten Moment hatte „Prinz” nicht übel Lust, das nämliche zu thun, denn das Schwein war ihm zwischen seine vier grobknochigen Ständer gerathen. Erschocken schlug er hinten und vorne aus, und ehe sein Herr sich zur Sache äußern konnte, rettete der Gaul sich vor dem aggressiven Dickhäuter durch die Flucht. In einer Pace, als wenn der „Prinz” einer Verabredung auf dem Blocksberg plötzlich sich entsonnen, preschte er die Chaussee entlang — — und da die Erde rund ist, würde Jakob von Rellsing in absehbarer Zeit an der Abrittstelle wieder angekommen sein, wenn ihm nicht das rothe Feld der Baltenhagener Hubertusjagd in die Quere gekommen wäre. Dasselbe hatte sich gerade nach den Wiesen auseinandergezogen, und als wenn es so sein müßte, keuchte der „Prinz” mit den andern hinter dem echten Schwarzrock her.

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Hallali —!

Die Sau war abgefangen und die Brüche waren vertheilt. Die Meute lagerte mit heraushängenden Zungen im Grase, und auch die Rothröcke zeigten sich stark ermüdet; denn es hatte einen fast zweistündigen Ritt gekostet, ehe die Bache gestellt werden konnte. Man lagerte sich zu einem Lunch. Nur Baron von Rellsing stieg zum Erstaunen Aller nicht von dem an allen Muskeln bebenden „Prinz”. Weshalb, das wußten nur der Baron selbst und seine Hirschledernen — —

Jedenfalls machte sich die Ausdauer sehr heroisch und als Fräulein Erika von Sandow davonritt, um die letzten Vorbereitungen für das Diner zu treffen, lud sie den Baron von Rellsing ein, sie zu begleiten.

Sie wunderte sich zwar etwas, daß der Baron mit seinem Gaule bis in den Stall hineinritt und sich dort noch eine ganze Zeit lang aufhielt — aber das imponirte der schneidigen Amazone außerordentlich.

Drei Stunden später weihte der Rittmeister von Sandow sein erstes Glas Sanct Hubertus, und das zweite einem jungen Brautpaare. Der dritte Toast aber wurde erst in später Stunde gesprochen — nachdem der Dicke seinem Freunde und Schwager die Sauhatz-Probe gebeichtet hatte. Das Glas galt dem temperamentvollen Yorkshire, welcher das ungefüge Schlachtroß des Barons zu einer so glänzenden sportlichen Leistung angefeuert und Jakob von Rellsing sozusagen seinem Glücke in die Arme „gehetzt” hatte.

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